Hinter TTIP verbirgt sich das EU-Handelsabkommen mit den USA, hinter CETA jenes mit Kanada. Beide wurden geheim verhandelt.
Selbst die Handelsmetropole Hamburg hat viel zu verlieren. Denn TTIP und CETA kollidieren mit der Demokratie …
Halt, werden manche nun sagen: Die demokratischen Rechte sind doch garantiert, vom Grundgesetz und von der Hamburger Landesverfassung. Nur: Mit TTIP und CETA entsteht Völkerrecht, das über der Verfassung steht. Das Gemeinwohl wird dabei Interessen internationaler Unternehmen untergeordnet. Dabei geht es um weit mehr als Nürnberger Würstchen aus Kentucky, oder Rindfleisch mit Wachstumshormonen, die mit den Abkommen auch in Europa auf den Tellern landen könnten. Auch die Zulassung bisher verbotener Chemikalien, ein Wegfall der Buchpreisbindung oder die Vermarktung genmanipulierter Nahrungsmittel würde den Alltag in Hamburg verändern.
Hier geht es um Mieten und Müllabfuhr, Trinkwasser und Theater, Hochschulen und Hochbahn, die allesamt von den Abkommen bedroht sind.
Besonders gefährlich ist das darin vorgesehene Investor-Staat-Schiedsverfahren. Konzerne können damit vor privaten Schiedstribunalen gegen Beschlüsse des Senats, der Bürgerschaft und der Gerichte klagen – und Entschädigung für den Bruch ihrer “legitimen Erwartungen” erwirken. Selbst Volksentscheide wären also angreifbar. Diese Schiedstribunale sind mit ordentlichen Gerichten nicht vergleichbar. Dort urteilen Anwälte großer Kanzleien. Ihre Profite steigen, je häufiger Staaten verklagt werden. Der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz gilt nicht: Nur ausländische Investoren sind klage-berechtigt. Als bisher einzige deutsche Stadt wurde Hamburg schon Opfer einer solchen Klage. Vattenfall klagte gegen Auflagen der Hamburger Umweltbehörde für das Kraftwerk Moorburg und zwang die Stadt, diese weitgehend zurückzunehmen. Dieser Fall zeigt, wie Konzerne das Klageprivileg zur Durchsetzung ihrer Interessen nutzen. Es genügt, dass Regierungen wegen der Entschädigungs-Risiken bei einem Vergleich einknicken und Auflagen kassieren. Mehr noch: Schon die bloße Drohung mit einer Investitionsklage kann dazu führen, dass notwendige Auflagen zum Schutz von Umwelt und Bevölkerung gar nicht gemacht werden. Als Stadt im Visier internationaler Unternehmen muss Hamburg mit vielen Klägern rechnen.
Hamburgs Senat werden die Hände eng gebunden sein, wenn der Schutz des Trinkwassers, bezahlbaren Wohnens, öffentlicher Bildung und kultureller Vielfalt durch hohe Tributzahlungen nicht möglich ist.
Einer der vielen US-Konzerne, die aufgrund von CETA bereits profitieren können, ist ExxonMobil. Im Dezember 2012 erteilte das für Hamburg zuständige niedersächsische Landesamt für Bergbau einer Exxon-Tochter die „Erlaubnis zur Aufsuchung von Kohlenwasserstoffen zu gewerblichen Zwecken“. Das Erlaubnisfeld „Vierlande“ bezieht sich auf ein riesiges Gebiet in den Bezirken Bergedorf, Mitte und Harburg im Süden Hamburgs. Diese Fläche entspricht fast 20 Prozent des gesamten Hamburger Stadtgebiets. Die Kohlenwasserstoffe, die ExxonMobil zu finden hofft, sind die in tiefen Gesteinsschichten vermuteten Schiefergasvorkommen. Bis Ende 2015 darf ExxonMobil anhand der umweltschädlichen Fracking-Methode, bei der mit hohem Druck und einer mit Chemikalien versetzten Flüssigkeit Risse ins Gestein gesprengt werden, prüfen, ob sich eine Förderung lohnen würde. Die Hamburger Umweltbehörde sprach sich gegen die Aufsuchungserlaubnis aus, aber die Behörde von SPD-Wirtschaftssenator Frank Horch, Staatsrat Andreas Rieckhof und Staatsrat Dr. Bernd Egert genehmigte den Antrag. Damit hat ExxonMobil die größte Hürde genommen, um Fracking in Hamburg durchzusetzen. Würde Hamburg die Fracking-Genehmigung verweigern, wäre dies schon nach deutschem Recht problematisch. Denn Einwände, dass Fracking im Exxon-Gebiet mehrere Trinkwasserbrunnen und Naturschutzgebiete bedroht, wurden von der BSU schon eingebracht und dürften im weiteren Verfahren kaum noch eine Rolle spielen. Mit CETA oder TTIP bekäme ExxonMobil nun zusätzlich die Möglichkeit, vor einem privaten Schiedstribunal auf Entschädigung entgangener Gewinne zu klagen. Mit großer Aussicht auf Erfolg: Als Begründung könnte der Konzern einen Bruch seiner „legitimen Erwartungen“ anführen. ExxonMobil ist versiert in der Nutzung der Schiedsverfahren. Gegen Kanada klagte eines seiner Tochterunternehmen erfolgreich. Kanadische oder US-amerikanische Investoren könnten auf dieser Grundlage gegen eine Vielzahl städtischer Maßnahmen vorgehen, durch die sie sich diskriminiert fühlen. Der Sprachschul-Konzern Berlitz Corporation etwa könnte die Förderung der Hamburger Volkshochschulen als wettbewerbsverzerrende „indirekte Enteignung“ angreifen. Kommerzielle Kulturanbieter könnten sich dies zunutze machen. Der Musical-Konzern Stage Entertainment verfügt über eine Repräsentanz in den USA, die als Basis für eine Klage auf Gleichbehandlung mit öffentlichen Theatern wie Schauspielhaus, Thalia und Kampnagel dienen kann. Hamburgs Senat könnte dann dazu verdonnert werden, die fünf Hamburger Musicals der Stage Entertainment mit ebensoviel Steuergeld zu fördern wie die öffentlichen Theater.
Hamburg 2021: Ein Szenario
Immer hartnäckiger hinterfragt die Öffentlichkeit die vermeintlichen Segnungen von TTIP und CETA: Schon 1,3 Millionen Menschen in Europa, davon 785.000 aus Deutschland, haben die selbstorganisierte europäische Bürgerinitiative “Stop TTIP” unterschrieben. Doch was wäre wenn TTIP und CETA durchkämen? Ein fiktives Szenario veranschaulicht dies am Beispiel Mieten. Hamburg im Februar 2021. Vier von fünf Hamburgern wohnen zur Miete. Die Mieten sind in den letzten Jahren explodiert. In der Folge geraten immer mehr Menschen mit den Mietzahlungen in Rückstand. Die Deutsche Annington machte dem Senat klar, dass sie eine Mietpreisbremse als Verstoß gegen die Pflicht zur „billigen und gerechten Behandlung“ unter dem CETA-Abkommen betrachte. Bei Umsetzung der Pläne würde ihr Anteilseigner, die kanadische Sun Life Financial, ein Schiedsgerichtsverfahren wegen „indirekter Enteignung“ einleiten. Sie habe bereits die renommierte Anwaltskanzlei King & Spalding LLP verpflichtet, ihre Interessen zu vertreten. Im Raum stehe eine Entschädigungssumme von 1,2 Milliarden EUR.
Hamburg kann CETA und TTIP stoppen
Hamburg hat im Bundesrat einen gewichtigen Einfluss darauf, ob die beiden Abkommen in Kraft treten. Beide Abkommen greifen tief in Kompetenzbereiche der Einzelstaaten ein. Daher werden sie voraussichtlich nicht nur vom Europäischen Rat und Europaparlament, sondern auch von Bundestag und Bundesrat Ende 2015 ratifiziert werden müssen. Das könnte bis 2018 dauern, ein Vorläufer des Vertrages soll allerdings schon 2016 in Kraft treten. Im Bundesrat wirkt dabei eine Enthaltung wie eine Nein-Stimme. Bei Koalitionen einigt man sich in der Regel darauf, dass bei unterschiedlichen Positionen der Koalitionsparteien Hamburg sich im Bundesrat enthält. Wenn der Bundesrat nicht zustimmt, dann scheitert die Ratifizierung der Abkommen.
Überaus zweifelhafte Chancen, nicht beherrschbare Risiken: In ganz Europa wächst der Widerstand gegen CETA und TTIP täglich. Nähere Infos: www.campact.de/ttip/
Von Annette Sawatzki und Jörg Haas (Campaignerin und Pressesprecher bei Campact e.V.)