ZUVERSICHT IST EIN MUSKELTim Bendzkos Auszeichnungen lesen sich wie eine Chronologie der Superlative: Echo, Bambi, |
Liegt im Chaos auch ein gewisser Reiz, ein Prickeln?
Total. Wahrscheinlich nicht in der Sekunde, in der ich feststelle, dass Chaos herrscht, aber nach zwei-, dreimal Brustatmung sehe ich auch eine Chance im Chaos. Weil es immer auch die Möglichkeit gibt, sich neu zu sortieren und wieder in die Startlöcher zu gehen. „Kein Problem, wenn die Welt untergeht, weil ich in meiner eigenen leb‘“.
Ist das eine Zustandsbeschreibung der Gesellschaft?
Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber das kann man durchaus so sehen. In dem Song geht es eigentlich darum, dass man sich in gewissen Kreisen nicht zuhause fühlt und meint, in einer anderen Welt zu leben. Es ist eines unserer größten Probleme, dass wir uns nicht mehr miteinander verbunden fühlen und uns immer mehr isolieren. In den letzten Jahren mussten wir das extrem. Die sozialen Medien nehmen heute einen unglaublichen Platz in unserem Leben ein. Ich glaube, das ist eine große Herausforderung.
Was kann die Menschen wieder zusammenbringen?
Man hat im besten Fall einen Freundeskreis, der verhindert, dass man sich isoliert. Ich habe kein Patentrezept, aber Kunst kann auf jeden Fall helfen. So kann ich indirekt meinen Beitrag leisten. Mir schreiben regelmäßig Leute, die sich bei Konzerten von mir kennengelernt haben und jetzt beste Freunde sind. Es geht natürlich runter wie Öl, wenn man sowas liest. „Wie kann ich die Dämonen besiegen?“, fragen Sie sich in der Pianoballade „Phantomschmerz“. Man hadert immer mit sich, weil man im Leben zwangsläufig Fehler macht. Dinge, die man eh nicht mehr ändern kann, hinter sich zu lassen, ist eine große Kunst. Ich habe ganz lange geglaubt, dass irgendwann jemand einfach um die Ecke kommt, mich entdeckt und ab da alles ganz leicht wird. Nach einer Weile ist mir aufgegangen, dass das alles Quatsch ist und ich die Schritte selber gehen muss. Am Ende ist meine Wahl auf die Musik gefallen, und ich habe zuhause zu irgendwelchen Alben wie ein Verrückter gesungen. Musik brachte mich emotional in einen völlig anderen Modus. Ich merkte: Wenn ich fröhlich bin und einen traurigen Song höre, kann er meine Stimmung in diese Richtung drücken, aber er kann mir auch genauso Mut machen. Als Kind war es für mich phänomenal, welche Kraft Musik hat. Offensichtlich war ich schon damals relativ pragmatisch veranlagt, weil ich dachte, es wäre doch schlau, wenn ich die Songs einfach selber schreiben würde. Dann kann ich meine Stimmungen damit steuern.
Was wäre aus Sicht der Eltern ein anständiger Beruf gewesen?
Naja, irgendwas studieren. Als dieses Gespräch das letzte Mal passiert ist, sagte ich zu meiner Mutter trotzig: „Ich wette
mir dir, dass ich innerhalb eines halben Jahres mehr verdiene als du“. Das hat dann auch geklappt. Ich fing bei einem Auto-Auktionator als Aushilfe an. Das war mir nach ein paar Monaten so langweilig, dass ich selbst Auktionator wurde und
plötzlich in der gleichen Gehaltsklasse wie meine Eltern unterwegs war. Als ich ihnen anderthalb Jahre später beichtete, dass ich den Job wieder gekündigt habe, waren sie nicht so glücklich. Ich hatte jedoch das Gefühl, wenn ich das zu lange mache, verblasst mein eigentlicher Traum. Am Ende sagte ich zu meinem Chef: „Tut mir leid, ich muss jetzt leider Sänger werden!“ Wie haben Sie Ihre eigene Stimme, Ihren eigenen Klang gefunden? Durch Imitation meines zukünftigen Ichs. Ich stellte mir als Kind immer vor, wie ich gerne klingen möchte. Und wenn man dann ein bisschen so tut, als wäre man
dieser Mensch, dann klingt man auch so. Das ist ja ein Muskel, den man trainiert.
Welche Soulsänger haben Sie beeinflusst?
Die Musikrichtung war mir eigentlich immer ziemlich egal. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass Musik mehr mit mir macht, wenn sie in meiner Sprache passiert. Also habe ich als Kind alles gehört, was deutschsprachig war: Z.B.Xavier Naidoo, Laith Al-Deen.
In „Parallelwelt“ besingen Sie das Phänomen, dass manche Menschen in andere Realitäten abdriften?
Das Spannende an diesem Phänomen ist, dass man nicht weiß, ob man selbst derjenige ist, der in einer Parallelwelt lebt oder ob es der andere ist. Ich bin mir sicher, dass ich bei vielen Dingen in einer ganz anderen Welt lebe. Das heißt aber
nicht, dass meine Welt die Normale ist.
Und wenn nicht?
Dann ist es auch okay. Ich habe so viel mehr erleben dürfen, als ich mir hätte ausmalen können. Sollte es irgendwann nicht mehr klappen, mache ich halt etwas anderes.
Olaf Neumann