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OXMOX Extra: „Alles über Kriegsdienstverweigerung“

Bild: Peter Butschkow

 

Während wir diesen Artikel schreiben, wird das Wehrdienst-Modernisierungs-Gesetz, ein Artikelgesetz, das in mehrere Gesetze eingreift, gerade im Bundestag verhandelt. Ist es dort verabschiedet, muss auch noch der Bundesrat zustimmen. 

Wer jetzt einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellt, muss nach Erfahrungen von Antragstellern mindestens ein halbes Jahr bis zur Entscheidung über den Antrag warten. Wie das Verwaltungshandeln letztlich sein wird, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. Die Grundsatzurteile zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung und die Logik der Rechtsprechung zu dieser werden wahrscheinlich bestehen bleiben. Auf dieser Grundlage informieren die ehrenamtlichen Aktiven der DFG-VK über Möglichkeiten und Fallstricke bei der Kriegsdienstverweigerung. 

Kriegsdienstverweigerung nach Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes ist das einzige Grundrecht in unserer Verfassung, das beantragt werden muss. Nicht allen Bundesbürgern wird zugestanden, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern – das dürfen nur Soldaten und diejenigen, die der Wehrpflicht unterliegen. 

Eine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer wird z.B. verweigert: 

  • Frauen (mit Ausnahme von Soldatinnen) 
  • Männern im Alter unter 17 ½ und über 60 Jahre 
  • Männern, die nicht tauglich „gemustert“ wurden 
  • Männern, die eine Musterung verweigern
  • Antragstellern, die nicht glaubhaft erklären können, dass sie nicht auf Befehl töten können oder die einen Verfahrensfehler bei der Antragstellung gemacht haben. 

Zum Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gehören Antrag, Lebenslauf und ausführliche Darlegung der Gewissensgründe. Alle drei Dokumente müssen mit Ort, Datum und Unterschrift versehen werden. Zusammen werden sie an das zuständige Karrierecenter der Bundeswehr, nach Gesetzesänderung an das Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr geschickt – per Einschreiben mit Rückschein. Für Hamburg und Schleswig-Holstein ist das Karrierecenter Kiel, Rostocker Str. 2, 24106 Kiel zuständig. – Wenn das neue Gesetz gilt, sollen die Anträge nach bisherigen Planungen an das Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr gestellt werden. 

Das Antragsschreiben enthält einen einzigen Satz, der z.B. lautet: Hiermit verweigere ich den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissengründen und berufe mich dabei auf das Grundgesetz Artikel 4 Absatz 3. Ort, Datum, Unterschrift.

Der Lebenslauf soll tabellarisch und lückenlos sein. Die DFG-VK empfiehlt nicht mehr, Informationen an die Bundeswehr zu geben, als unbedingt notwendig sind. Also kein Foto, keine Informationen über Qualifikationen und besondere Fähigkeiten. 

In der Begründung wird erklärt, weshalb der Antragsteller den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern muss. Die Begründung muss persönlich geschrieben werden – also nicht von einer KI. Die DFG-VK warnt davor ,Begründungen zu verwenden, die aus dem Internet generiert wurden. Absätze sind oft auffällig gleichlautend und können erkannt werden. Kriegsdienstverweigerer sollten sich zutrauen, ihre Begründung selbst zu schreiben. Diese ist kein Deutschaufsatz, der zensiert wird. Anregungen und Unterstützung gibt es über die Beratungsstellen der DFG-VK. 

Kernaussage der Begründung sollte sein: Ich KANN nicht zur Bundeswehr, weil ich andere Menschen nicht töten kann, es als Soldat aber muss. Wenn ich für den Tod eines Menschen verantwortlich wäre, würde ich Gewissensqualen erleiden. Ich würde innerlich zusammenbrechen. 

Fragen, die anregen sollen, einfach loszuschreiben: Wie bin ich so „unnormal“ geworden, dass ich den Kriegsdienst verweigern MUSS? Welche Menschen hatten Einfluss auf die Ausbildung meiner Persönlichkeit? Gab es Erlebnisse, die wichtig für mich waren? Habe ich Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten begleitet oder habe ich Tod erlebt? Bin ich verantwortlich für Kinder und habe deswegen einen anderen Blick auf die Bedeutung von menschlichem Leben gewonnen? Was würde in mir passieren, wenn ich für den Tod eines Menschen mittelbar oder unmittelbar mit verantwortlich wäre? Was berührt mich an Nachrichten über Krieg so stark – welches Bild? Das Wort Gewissen sollte in der Begründung benannt werden. Wer einfach loslegt und zu den Fragen etwas schreibt, bekommt schnell mindestens eine Seite zusammen. 

Im Ablauf gibt es schon lange keine mündlichen Verfahren mehr, außer beim Verwaltungsgericht. Bis zum Verwaltungsgericht muss in letzter Zeit aber praktisch niemand gehen. Bisher kennt die DFG-VK Hamburg aus den letzten Jahren niemanden aus der Beratung, dessen Antrag abgelehnt wurde, wenn der Antrag formal richtig war und Anregungen zur Begründung berücksichtigt wurden. Ablehnungen gab es nur bei Formfehlern wie Fristversäumnissen, Unvollständigkeit des Antrags, Ablehnung der Musterung oder wenn jemand nicht mehr wehrpflichtig (z.B. zu alt) war. Es gab sehr selten eine schriftliche Nachfrage, die dann beantwortet werden musste. Die Anerkennungsquoten sind zurzeit sehr hoch.  

Der Erfassungsbogen, der 2026 kommen soll, wird in Bundeswehrtarnsprache „Bereitschaftserklärung“ genannt. Die Erfassung, die Datenweitergabe von der Kommune an die Bundeswehr, ist der erste Schritt der Wehrpflicht, besser ausgedrückt, des Kriegsdienstzwangs. Die Bundeswehr soll nach angestrebter Gesetzeslage die Daten von Wehrpflichtigen aus den Datenbanken der Einwohnerämter auf elektronischem Weg abziehen können. Ab Geburtsjahrgang 2008 bekommen nach Planung alle Bundesbürger eine Aufforderung der Bundeswehr, einen solchen Bogen online auszufüllen und per Brief zugeschickt zu bekommen. Auf dem Brief soll ein personifizierter QR-Code sein. Der Kriegsdienstzwang wird deutlich, weil bei Nichtbefolgen der Aufforderung mit einem Bußgeld gedroht wird. Männliche Bundesbürger müssen den Bogen beantworten, weibliche dürfen. 

Sand im Getriebe der Kriegsmaschine 

Wer keine Lust hat, die Bundeswehr zu unterstützen ,sollte der Aufforderung, den Erfassungsbogen online auszufüllen, nicht nachkommen. Den ersten Brief frisst meist die Katze oder der antimilitaristische Hund. Einen Monat später wird eine weitere Aufforderung förmlich zugestellt. Ein Bußgeld droht nach Planung erst nach der zweiten Aufforderung, wenn nicht darauf reagiert wird. Die Höhe des Bußgeldes ist bisher nicht bekannt. 

Der Erfassungsbogen, der bisher nicht öffentlich bekannt ist, soll vorausgefüllt sein. Wer ein Bußgeld vermeiden will, sollte den Bogen in Papierform handschriftlich ausfüllen und dem Bundesamt für Personalmanagement fristgemäß förmlich zustellen. Auf Papier kann ein Kriegsgegner „in Prosa“ die Kriegsgegnerschaft verdeutlichen. 

Über Möglichkeiten und Gefahren dieses zivilen Ungehorsams tauschen sich Aktive der DFG-VK bei Treffen aus. 

Die Musterung / Tauglichkeitsprüfung 

Die Musterung ist der zweite Schritt des Kriegsdienstzwanges. Sie soll nach Planung 2026 für den Jahrgang 2008 beginnen. Es geht um eine körperliche und geistige Überprüfung der Kriegsverwendungsfähigkeit der Wehrpflichtigen, in Bundeswehrtarnsprache „Tauglichkeit“ genannt. Geregelt ist das Musterungsverfahren im Wehrpflichtgesetz §17. In Absatz 10 heißt es: “Bleibt der Wehrpflichtige der Musterung unentschuldigt fern und scheitert eine polizeiliche Vorführung oder verspricht diese keinen Erfolg, ist nach Aktenlage zu entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn sich der Wehrpflichtige nicht untersuchen lässt.“ 

Unentschuldigtes Fernbleiben führt zu staatlichem Druck, nachweislich entschuldigtes Fernbleiben ist danach aber möglich, etwa durch eine Krankschreibung, über die das Karrierecenter kurzfristig informiert wird. Solch ein Verhalten ist nicht nachteilig, sondern zeigt der Bundeswehr, wer nichts mit ihr zu tun haben will. 

Reserve hat keine Ruh 

Durchhaltefähigkeit und Wehrersatz sind von der Bundesregierung immer wieder zu hören. In der Bundeswehrtarnsprache heißen die Behörden jetzt Karrierecenter, Bundesamt für Personalmanagement – die alte Bezeichnung Kreiswehrersatzamt verdeutlichte schon im Namen die Aufgabe dieser Behörde. Hier wurden Daten von Reservisten verwaltet, die im Kriegsfalle als Ersatz für die weggeschossenen, weggesprengten, versehrten Bundeswehrsoldaten nachgeschoben werden sollten – bis auch diese nicht mehr kriegsverwendungsfähig sind. 

Reservisten sollen nach Bundeswehrplanung effizienter verwaltet werden, damit sie zur „Durchhaltefähigkeit“ in den Krieg gezwungen werden können. Mindestens 200 000 sollen schnell herangezogen werden können. – Die DFG-VK empfiehlt deswegen dringend: Reservisten verweigern. 

https://www.bundeswehrabschaffen.de/unsere-themen/kriegsdienstverweigerung/kdv-als-reservist 

Wer als Kriegsdienstverweigerer*in anerkannt ist, bleibt dennoch wehrpflichtig. 

Anerkannte Kriegsdienstverweigerer müssen im Kriegsfalle zwar nicht bei der Bundeswehr dienen, können aber zu allerlei anderen Kriegsdiensten im Rahmen der „totalen Verteidigung“ herangezogen werden. In Bundeswehrtarnsprache heißt das Gesamtverteidigungskonzept oder auch Operationsplan Deutschland. Heranziehende Behörde für Kriegsdienste ohne Waffe ist im Kriegsfalle die Bundesagentur für Arbeit. Daten, die durch die Erfassungsbögen (in Tarnsprache Bereitschaftserklärung) gewonnen werden, sollen von der Bundeswehr an die Bundesagentur für Arbeit weitergeleitet werden. 

Viele Kriegsdienste ohne Waffe wurden durch die Notstandsgesetze 1968 eingeführt. Die Durchführungsgesetze dazu sind die sogenannten Sicherstellungsgesetze. Ehemalige Zivildienstleistende unter 60 können z.B. im Kriegsfalle zu einem unbefristeten Dienst herangezogen werden. Alle Bundesbürger im Alter zwischen 18 und 60 und alle Bundesbürgerinnen im Alter zwischen 18 und 55 können für die „totale Verteidigung“ verpflichtet werden. 

Wer Kriegsdienste ohne Waffe verweigert, muss mit massiven staatlichen Sanktionen rechnen. Wer zur Zeit des Zivildienstes diesen verweigerte, landete in einem Strafverfahren und nicht selten im Gefängnis. 

Sich dem Kriegsdienst entziehen – Untauglichkeit als Ziel 

Es ist nicht ehrlos, sondern vernünftig, sich dem Kriegsdienstzwang zu entziehen. Für Kanzler Merz im Schützengraben zu sterben, ist unvernünftig. Es ist konkreter Widerstand, sich gegen Kriegstüchtigkeit mit allen legalen Mitteln zu wehren. Wer ausgemustert ist, wird über die Wehrpflicht / Kriegsdienstzwang nicht mehr herangezogen. Anregungen gibt es auf der Homepage der Bundeswehr unter dem Stichwort T5.

Mehr Informationen gibt es unter www.verweigert.de , www.verweigern.info sowie über hamburg@dfg-vk.de 

Text: Detlef Mielke