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Edelhölzer & Bürokratie

Stellen wir uns mal Folgendes vor: Du kom­mst aus dem Urlaub, bist unglaub­lich erholt und freust dich auf zu Hause. Doch auf dem Weg zum Abflug-Terminal kom­men plötzlich drei Zollbeamte auf dich zu und verlangen in gebrochenem Englisch, ihnen zu folgen. Du tust wie geheißen. In einem Separée wird dir nun erklärt, dass du vermutlich ein Schwerverbrecher bist! „Warum?“, fragst du. „Weil Sie eine Gi­tarre dabei haben!“ „Aha, ich wusste nicht, dass Musikerin Ihrem Land als Ver­brecher gelten …Nein, nein, Musiker doch nicht … Gitarristen. Haben Sie fürdiese Gitarre ein Vor-Erwerbs-Zertifikat?Wieso, sie ist nicht geklaut, ich habe sie schon seit mehr als 20Jahren. (Natürlich muss man sich diese Konversation in Tar­zan-Englisch vorstellen und die Tatsache, dass die Zeit drängt, weil der Flieger in 25 Minuten abhebt, könnte eventuell dazu füh­ren, dass du langsam ein wenig un­ge­halten wirst.) Die Zollbeamten werfen sich vielsagende Blicke zu und deuten dir, deine Gitarrentasche zu öffnen. Als du den Corpus Delicti auf dem Tisch positionier­st, stürzen sich die Beamten darauf und fangen an, das Griffbrett zu beschnüffeln. In diesem Moment wird alles klar, und du fängst an zu lachen! „Glauben Sie wirk­lich, dass ich Drogen in meiner Gitarre schmuggeln würde?“, fragst du lachend, denn die Situation, wie diese drei Zoll­beamten deine Gitarre beschnüffeln und das Griffbrett begutachten, wird langsam ein wenig absurd … Aber keine Antwort von den Beamten. Plötzlich holt einer ein Teppichmesser aus der Schreibtisch­schub­lade und fängt behutsam an, auf dem Griff­brett deiner wunderschönen, perfekt gearbeiteten Martin D28 herumzukratzen … Dir platzt der Kragen. Du schreist und schubst. Und dann geht alles sehr schnell: Du landest in der Zelle, ver­passt deinen Flug und deine Gitarre schmo­rt fortan in einem großen Zolllager in bester Gesell­schaft mit exotischen Tieren, arten-ge­schützten Touristensou­ve­nirs und Drogen aller Art …

Fiktion? Nein, diese geschilderte Proble­ma­tik basiert auf einem Gesetz des inter­na­tional geltenden Washingtoner Arten­schutzübereinkommens (CITES = Con­­vention on International Trade in En­dan­gered Species) von 1992, welches be­inhaltet, dass alle Gitarren, die Bauteile aus Dalbergia Nigra Holz haben (besser be­kannt unter Brazilian Rosewood, RioPa­li­sander und Jacaranda), nicht zu­läs­sig sind für kommerzielle Nutzung, also Han­del, Konzerte, Reparaturen, Radio & TV oder sogar als Deko in Bars ­- außer man kann nachweisen, dass das Instru­ment vor 1992 erworben wurde oder gar kein Rio Pa­li­sanderverwendet wurde. Natürlich haben nicht alle Gitarren Rio Palisander-Anteile, denn nur 5% des ge­samten Bestandes gingen in den Instru­men­ten­bau, besonders beliebt als Griff­brett­holz bei E-Gitarren und als Brücken- oder Steg-Holz bei Akustik & Jazzgit­ar­ren. Leider ist es extrem schwierig, diese Holzart zu identifizieren; Brazilian Ro­se­wood ist optisch variabel, hat aber einen be­sonderen Geruch. Wenn man es schleift bzw. anschleift, entfaltet er sich. 1998 rück­te das Gesetz zum Schutz dieses sel­tenen Edel-Holzes in die höchste Schutz­stufe. Warum erst jetzt überhaupt agiert wird, ist unklar.

Weltweit sind Zollbeamte angewiesen, Personen mit Gitarrentaschen als grundsätzlich ver­dächtig einzustufen.

Umweltbehörden der unterschiedlichen Län­­der geben Schulungen zur bes­seren Iden­tifikation des Holzes.Man stelle sich vor, welch enorme Druckwelle dieser Sach­­verhalt vor sich hertreibt und wer da­von alles betroffen ist: Bands, die auf Tour gehen und einen Fuhrpark an Gitarren mitführen, Studios, Händler, Clubs … Jeder, der eine Gitarre benutzt und in irgendeiner Weise damit Geld verdient, ist in der Beweispflicht. Juristisch gesehen degradiert diese Tatsache jeden Gitarren- Verkäufer auf die Seriösitätsstufe eines Heroin-Dealers. Der Fokus liegt nun auf der Musikindustrie und nimmt ungeahnte Ausmaße an. Die einzige Möglichkeit, sich zu schützen, besteht darin, sich von den Umweltbehörden eine Genehmigung für die Nutzung ausstellen zu lassen. Die­se wird nur erteilt, wenn das Instru­ment sich bereits vor 1992 auf EU-Ter­ri­torium befunden hat und man den sach­gemäßen Kauf von seriös eingeführtem Holz doku­men­tieren kann. Wahrscheinlich wollen die Behörden auch noch wissen, ob man die ersten Saiten noch hat, und wenn nicht, ob diese sachgemäß entsorgt wur­den …

Natürlich müssen seltene Arten geschützt werden – trotzdem fragt man sich, wo denn die anderen 95% des Gesamtbe­stan­des hin­gegangen sind, und ob diese Schi­kane die Bäume wirklich wieder wachsen lässt. Es geht hier nicht um irgendeinen häss­lich­en Eierbecher aus seltenem Tro­pen­­holz, sondern um wunderschöne alte Git­arren, Schmuckstücke, perfekte Hand­werks­­arbeiten, wohlklingende Relikte. Mei­­nem Verständnis nach ist das Kultur­gut!

MaWi